Samstag, 28. Januar 2012

Auf der Post

Ich gehöre zu jenen Menschen, die prinzipiell mit mehr Gepäck von einer Reise zurückkehren, als sie ursprünglich dabei hatten. Um Platz für indische Mitbringsel zu schaffen, komme gerne auf meinen Freund Ritchie zurück, der dankenswerterweise anbietet, einen Teil meines Gepäcks mit nach Österreich zu nehmen.

Typischer Kerala Shop
Das Abenteuer „Paketversand“ beginnt. Wenn man wie ich in den Bergen wohnt, gilt es, herauszufinden, wie das hier funktioniert. Zuerst wird eine Schachtel organisiert. Diese wird mit dem Moped nachhause transportiert und mit Dingen, die man nicht mehr unmittelbar braucht wie Bücher, Kleidung, Souvenirs, vollgepackt. In Österreich packt man das Paket meist nochmals mit Packpapier ein. Das ist schon schwieriger zu organisieren und man wundert sich immer wieder, was man in den kleinen Shops alles bekommen kann. Auch wenn man von außen nur Pepsi Flaschen, die üblichen Kuchen und Eimer sieht. Im Inneren eines 5x5 m großen Shops gibt es alles: zwischen Spiegeln, Schmuck, Haushaltsreinigern, Bügeleisen liegen USB Sticks, Büromaterialien und eben Packpapier. Mit dickem Stift schreibe ich den Empfänger und Absender drauf. Fertig für den Versand!
Postfiliale in einem Dorf
Auch der muss organisiert werden. Die Post im nächst größeren Ort hat nur von 10-14 Uhr geöffnet und wie ich höre, nimmt sie keine Pakete an. Also wird mein Paket mit dem Auto in denselben Ort transportiert und dort in einem Shop zwischengelagert, bis ich es am Nachmittag abholen kann. Nach dem Mittagessen düse ich von der Firma mit dem Bus los und sammle mein 40 x 40 cm großes Paket wieder ein. Schnell mit dem Bus in eine andere Ortschaft, denn die Post nimmt nur Pakete vor 15 Uhr an. Als ich ankomme, lasse ich mir die Post zeigen. Für Ausländer ist es ja nicht unbedingt augenscheinlich, wo ein solches Gebäude ist.

Als ich um 14.30 Uhr dort eintrudle, errege ich sofort alle Aufmerksamkeit (bin ja hellhäutig und blond), der Schalterbeamte lässt seine beiden Kunden – die gerade dabei sind, Briefe aufzugeben - warten und wendet sich mir zu. Kurze Analyse des Falls (Paketversand.. Ausländerin..) und ruft den Chef Postbeamten. Als er eintrifft, analysiert mit einem weiteren Kollegen sorgfältig die Sachlage. Das Paket wird von allen Seiten begutachtet, dann überreicht man mit ein Zertifikat. Ich soll bestätigen, dass ich keine unerlaubten Gegenstände verschicke, ohne mich darüber aufzuklären, was denn unerlaubt ist. Also ich kreuze mal „ungefährlich“ an und unterschreibe, um kurz darauf informiert zu werden, dass mein Paket aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin in der nächsten Stadt geöffnet wird.

Jessy, meine Schneiderin
Soweit so gut. Das Paket soll gewogen werden, was sich als schwieriges Unterfangen herausstellt, weil die Wage kaputt ist. Letztendlich landet das Packerl wieder am Schalter. Der Postbeamte sieht es ratlos an. Er teilt mir mit, dass etwas mit der Hülle nicht stimmt. Das Packpapier könnte nass werden und dann klappt es nicht mit dem Versand. Auf meine Frage, wo ich denn eine entsprechende Verpackung herbekomme (ich denke da an eine Box, wie es sie in österreichischen Postfilialen zu kaufen gibt), stellt er mir seinen Adjutanten zur Verfügung. Dieser wird mit helfen, eine solche Hülle zu kaufen. Er schnappt mein Paket und läuft nach draußen. Dabei ist er so schnell, dass ich ihm nicht nachkomme. Schließlich fährt er in einer Rikschaw vor und sammelt mich ein.

Auch kleine Pakete
brauchen eine Hülle
Wir landen in einem Geschäft und unterbrechen das Gespräch zweier Frauen. Die Besitzerin wird nun mit meinem Problem befasst. Der Gesichtsausdruck verändert sich  dabei auffälligerweise zu jenem des Chef-Postbeamten. Langsam nähert sie sich dem Paket und begutachtet es von allen Seiten. Der Post-Adjutant klärt auf. Sie sieht sich im Geschäft um und greift zu einem Maßband. Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns in einer Schneiderei befinden.
Das Packerl wird vermessen, begutachtet, es wird beratschlagt. Zwei weitere männliche Kundschaften treffen ein. Vier Augenpaare inspizieren nun mein Paket (ich wusste nicht, dass es so interessant ist) und folgen der Schneiderin zur Nähmaschine, wo sie ein weißes Stück Stoff zurecht schnipselt. Eine entsprechende Hülle wird maßgefertigt. Der Postbeamte hilft beim Nähen. Das halbfertige Teil wird anprobiert. Es passt nicht. Nochmals schnipseln. Schließlich wird das weiße Teil meiner Box übergezogen. Der Postbeamte hilft beim händischen Zunähen der Oberseite. Fertig. Die Schneiderin, der Postbeamte, die zwei Kundschaften, die Freundin der Schneiderin und ich sind zufrieden. Die Handarbeit lasse ich mir 60 Rupien (1 Euro) kosten.
Zurück marschieren wir zu Fuß. Ich habe Stress, weil ich denke, dass die Post mittlerweile zu hat. Aber dem ist nicht so. Alle Beamten sind noch da und stellen mir einen fetten Marker für das Beschriften zur Verfügung. Ich soll auch die Telefonnummer des Empfängers aufführen und die Zahlen in indischer Schreibweise schreiben. Wie gewissenhaft! Mittlerweile wird auch klar, dass ich gar nicht beabsichtige, ins Ausland zu versenden. Die Chancen stehen gut, dass das Paket zu bleibt. Nun steht dem Versand (fast) nichts mehr im Wege. Muss nur noch geklärt werden, wie schnell das Packerl ankommen soll. Speed Post = 3 Tage, Normale Post = 4 Tage. Naja ich riskiere mal den Transport mit der Bahn und berappe für 8 Kilo knappe 300 Rupien (=5 Euro).
Zuhause erzählt mir meine aus Littauen stammende Freundin ihr Post Highlight: als sie ein Packerl nachhause senden möchte, wirft der Postbeamte einen Blick in den Computer und erklärt ihr, dass es ihren Staat nicht gibt. Wohin sie denn tatsächlich versenden möchte, fragt er sie: Libanon oder Lettland? Wie sie ihn von der Existenz Littauens überzeugen konnte, ist eine andere Geschichte.

Dienstag, 17. Januar 2012

Von Blutegeln und Chillies

Die indische Küche – so gut sie auch sein mag – zwingt so manchen ungeübten Europäer in die Knie. Durchfälle oder Magenverstimmungen in den ersten Tagen sind Gang und Gebe. Bei mir war das anders. Selbst das Fast-Food Essen in der Bahn konnte mir nichts anhaben. Ich war mächtig stolz auf mich und mein Immunsystem.

Hier schläft jemand in der
Handgepäck Ablage
Apropos Bahn. Auf einer erlebnisreichen Bahnfahrt mit Menschen, die in der Ablage für das Handgepäck schlafen (!!!), muss es wohl passiert sein. Ich habe mir irgendwas eingefangen. Als ich am 31. Dezember morgens in der Nähe eines Traumstrandes aufwache, ist mir bei 30 Grad Hitze eiskalt. Der Haferbrei schmeckt nicht, ich bin zu müde, einem Gespräch zu folgen. Ab ins Bett. Leider liegt die Matratze im Freien und es gibt kein heißes Wasser. Ein Graus für jeden Kranken. Mit Haube und Fließjacke bekleidet bibbere ich unter dem Moskitonetz. Zehn Meter bis zum Klo können unglaublich weit sein. Am nächsten Tag ist das Fieber weg.

Traumstrand in Varkala
2011 ging es mir in Indien gut. Bis auf ein paar Bisse von Blutegeln und einer ausgekegelte Schulter (ich saß gerade mit einem Priester beim Frühstück) strotzte ich nur so vor Gesundheit. Der Start in das Neue Jahr hingegen war – sagen wir – etwas holprig. Und ähnlich ungewöhnlich geht es gesundheitlich weiter.
Klippen in Varkala
Mein rechtes Auge bekommt kurz nach Neujahr die doppelte Größe. Ziemlich unhübscher Anblick beim Frühstück. Alle gehen mir aus dem Weg, um sich nicht anzustecken. Das sei DIE Augenentzündung, die jetzt jeder hat. Gut dass es dann doch nur ein Moskitostich an einer höchst ungünstigen Stelle war. 

Die Mörder Chillie
Weiter geht es mit Magenschmerzen, Übelkeit und hartnäckigen Verdauungsproblemen. Ausserdem werde ich seit neuestem mit Chillies assoziiert. Bei einer Besichtigung der PDS Farm pflücke ich eine rote Schote und zeige sie meiner Kollegin. Wir kosten etwas – MEGAscharf ist sie. Ich wasche mir die Hände und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Da passiert es. Etwas Chillie kommt in mein rechtes Auge. Wegwaschen geht nicht. In kürzester Zeit brennt das ganze Gesicht und ich laufe wie blind durch die Gegend. Ganze zwei Stunden legt mich das kleine rote Ding lahm, bevor ich wieder normal sehen kann… ich gebe zu, ein ziemlich dummer Zwischenfall.
Das neue Jahr ist noch jung und ich stehe schon wieder in der Tür des Ayurveda Arztes. Meine Arme, Beine, Rücken und das Gesicht sind von roten juckenden Pusteln übersät. Wo kommen denn die auf einmal her? „Du bist in Indien“ antwortet der Arzt lächelnd und verschreibt mir ein Mittelchen. Womöglich ist ein Insekt für den Ausschlag verantwortlich. Mein Eindruck erhärtet sich .... nature is killing me slowly ...
Nur gut, dass die dicke fette Schlange, die ich kürzlich am Fabriksgelände gesehen habe, besseres zu tun hatte, als mich näher kennenzulernen. Es soll hier auch Kobras geben. Ich wette, die mögen keine Pusteln.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Warten auf Godot

In Wien kommt es ja mitunter vor, dass Fahrgäste in der U-Bahn „erkranken“ und deswegen der Betrieb gestört ist. In Indien kann es passieren, dass man während des Wartens auf einen Zug erkrankt oder am Bahngleis das Zeitliche segnet. Heute erlebe ich, wie sich eine Nacht bei Temperaturen um die Null Grad am Bahnhof anfühlt. Aufgrund dichten Nebels hat mein Zug von Delhi nach Lucknow vier Stunden Verspätung und soll um 0.45 Uhr eintreffen. Aus dem Süden kommend bin ich mit einer Jeanshose und einem Sweater nur leicht bekleidet.

Eiseskälte am Bahnhof in Old Delhi
Der Blick auf die Anzeigetafel verheißt nichts Gutes. Der Zug wird es zur angegebenen Zeit nicht schaffen. In der Zwischenzeit haben sich dutzende Menschen in ihre Wolldecken und Schals gewickelt und liegen in leicht gekrümmter Haltung am Boden. Vor dem Bahnhof sieht es auch nicht anders aus, nur dass die Menschen dort sitzen statt liegen. Durchgefroren beschließe ich gegen Mitternacht Winterkleidung zu kaufen. Einen Fleece-Pullover und eine Haube reicher geselle ich mich zu einigen am Boden hockenden Männern und esse mit ihnen Reis und Chapati (Weizenflade).

Hunderte Inder schlafen am
Boden der Bahnhofshalle
Zeit, die Ankunft meines Zuges zu checken. Die digitale Anzeige lässt die Ankunft meines Zuges mit 2.45 Uhr ersehnen. In der Wartehalle gönne ich mir eine Mütze voll Schlaf. Wieder raus in die Kälte und mit vollem Gepäck zu Gleis 13. Neben den zwei Fleece-Pullovern wärmen mich nun noch ein Bettlacken und ein Handtuch. Zum Aufwärmen einen Chai-Tee. Gerüchteweise wird es mein Zug zur angegebenen Zeit nicht schaffen. Dass sämtliche Anzeigetafeln unterschiedliche Zeiten affichieren, ist auch nicht gerade hilfreich. Wieder zurück zum Start.


Shaheed Express bahnt sich den
Weg durch den dichten Nebel
 Meine Moral ist an einem Tiefpunkt angelangt. Übernachtigt und durchgefroren schlürfe ich das siebte Heißgetränk. Gemütlich in seinen Sessel gelehnt erklärt mir der Bahnhofs-Beamte, dass ich meinen Zug nicht vor 4.15 Uhr erwarten darf. Ich glaube ja nur mehr, was ich sehe und begebe mich wieder zum Gleis. Die wartenden Passagiere suchen ihre Namen auf den Reservierungslisten. Meinen kann ich nicht finden. Um halb fünf werden die Menschen um mich nervös. Es wird doch nicht bedeuten, dass der Zug kommt? Tatsächlich trifft er um 4.30 Uhr ein und ich dringe zielstrebig zu meiner Liege vor. Auf meiner zehnstündigen Fahrt werde ich weiter frieren, denn in meinem Abteil gibt es keine Heizung. Zum Glück habe ich schon gelernt, in jeglicher Verfassung zu schlafen ;-)

Durchsicht der Sitzplatz
Reservierungen vor der Abfahrt
Nach diesem Erlebnis könnte man annehmen, dass eine Verspätung von 7 Stunden nicht zu übertreffen ist. Aber „Incredible India“ hat immer eine Überraschung parat. Auf der Rückreise nach Delhi ist es wieder neblig…  Meinen Freunden habe ich es zu verdanken, dass ich nicht am Bahnhof schlafen muss. Anstatt um 19.30 Uhr abends trudelt der Farakka Express mit 16 Stunden Verspätung am nächsten Tag um 11:30 Uhr (!) ein. 500 Kilometer und 12 Stunden später erreichen wir Old Delhi. Kaum zu fassen.
Verspätung hin oder her – Die Bahn ist als Transportmittel in Indien nicht wegzudenken. Kostengünstig bewegt sie täglich rund 300 Mio. Menschen (= jeder 4. Inder). Da wartet man doch gerne etwas.

Besuch bei den Kleinbauern

PDS Organic Spices bezieht seine Gewürze ausschließlich von Kleinbauern, die in den Bergen unweit der Fabrik leben. Wenn die Gewürze in ihrer Rohform in der Fabrik einlangen und dann zum Trocknen in die Sonne gelegt werden, ist es eine Freude für die Sinne. Frischer Kurkuma, Ingwer und Pfeffer strotzen vor Vitalität und verbreiten herrliche Gerüche in und um das Firmengelände.

Heute gehen wir der Herkunft der Gewürze nach und besuchen Kleinbauern, die an PDS liefern, in ihren Bergdörfern. Anlass des Besuchs ist eine Trainingseinheit zum Thema „Haushaltsbudget“ für die Frauen einer Selbsthilfegruppe. Grundsätzlich haben Frauen wenig Einblick in die finanzielle Situation der Familie, da dieses Thema traditionell Männersache ist. Durch das Training bekommen die Frauen mehr Verständnis für Finanzen und können sich in der Gestaltung des Budgets einbringen.   
Um zur Selbsthilfegruppe zu gelangen, fahren wir mit der Rikscha 5 km auf der Hauptstraße, verlassen diese dann und gleiten fünfzehn Minuten den Hang hinunter. Schließlich endet die asphaltierte Straße und wir treten unseren dreißig minütigen Fußmarsch bergab an. Sandalen sind hier nicht das geeignete Schuhwerk und ich rutsche mehrmals aus.

 Kautschukgewinnung
Unsere Wanderung ist faszinierend – die Trainerin pflückt Kakaofrüchte, zeigt uns einen Nelken- und einen Muskatbaum. Endlich habe ich auch Gelegenheit, die Kautschukbäume unter die Lupe zu nehmen. Sie sind mehrfach schräg eingeritzt und werden zum Schutz vor Regen mit einem Plastik abgedeckt. Darunter ist ein Becher angebracht, wo die zähle Flüssigkeit hineintropft.


Kleinbauer bei der Arbeit

Wer Kautschukbäume auf seinem Land hat, kann sich glücklich schätzen. Ein Becher füllt sich innerhalb einer Stunde und ist etwa 200 Rupien (= 3,2 EUR) wert. Die Einnahmen der Bauern können stark schwanken. Es kann sich – abhängig von der Größe der Landwirtschaft und der Marktpreise - zwischen 1.500 und 10.000 Rupien (= 23 und 158 EUR) pro Monat bewegen. Wer an PDS verkauft, bekommt Mindestpreise garantiert und eine Fairtrade Prämie wird an die Bauernvereinigung gezahlt.

 
Selbsthilfegruppe beim Training

Angekommen am Trainingsort im Wohnzimmer eines einfachen Einfamilienhauses werden wir herzlich begrüßt und beginnen mit einem Gebet. Den Frauen macht die Planung ihres Budgets Spaß. In der Zwischenzeit arbeiten die Männer hinterm Haus am Steilhang. Bereitwillig zeigen sie alle „Schätze“, reichen Kardamom und Pfeffer und präsentieren die Kautschukmatten, wie sie zum Trocknen in der Sonne hängen, bevor sie am lokalen Markt verkauft werden. Das Ende des Trainings feiern wir mit süßem Reiskuchen und schwarzem Kaffee. Die Frauen packen mir zentnerweise Kuchen, Jamba-Früchte (sehr lecker) und Maniok zum Mitnehmen  ein. Von so viel Großzügigkeit bin ich völlig überwältigt.

Bäuerin mit Maniokpflanze
Am Rückweg wird mir bewusst, wie entlegen diese Familien wohnen. Gerüchteweise gehen sie nur einmal pro Woche den Weg hinauf zur Hauptstraße. Dort befinden sich ein winziger Ort und eine Bushaltestelle. Um etwas mehr als ein paar Kekse zu kaufen, muss man schon in den nächsten Ort fahren und vor Einbruch der Dunkelheit (gg. 18 Uhr) wieder zurück sein. Die Frauen haben von einem Tiger erzählt, der sich in ihrer Gegend herumtreibt und das Vieh frisst. Unter diesen Bedingungen bekommt das Alltagsleben eine völlig andere Bedeutung.